Flüchtlingszahl-Obergrenzen: Offener Brief an Österreichs Bundesregierung

aus: Der Standard, vom 25.1.2016 (http://derstandard.at/2000029660981/Moralischer-und-rechtsstaatlicher-Bankrott?ref=rec)

Wir sind tief besorgt, dass der Umgang mit dem Asylrecht völlig kippt, und zwar in Richtung der Aufgabe der bestehenden Rechtsgrundlagen. Auch wenn es bisher keine – allerdings dringend erforderliche – gesamteuropäische Lösung zur Erstaufnahme von Asylsuchenden gibt, existieren dennoch zwingende rechtliche Verpflichtungen für die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU, die gemeinsamen Grundgesetze einzuhalten.

Die Verlautbarung der österreichischen Bundesregierung, jährliche „Obergrenzen“ für Asylsuchende in Österreich einführen zu wollen, ist reiner Populismus. Die willkürliche Begrenzung der Zahl der anzuerkennenden Asylanträge steht im klaren Widerspruch sowohl zur österreichischen Verfassung als auch der EU-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie zur Genfer Flüchtlingskonvention. Sie ist nichts als eine politische Absichtserklärung zum moralischen und rechtlichen Bankrott der Republik.

Grundrechte und Grundwerte einhalten

Wie soll eine solche Obergrenze konkret aussehen? Die 37.501. Asylwerberin, der 37.502. Asylwerber werden abgewiesen, selbst wenn ihnen gemäß der Verfassung Asyl in Österreich zustünde? Artikel 18 der auch in der österreichischen Verfassung enthaltenen und für Österreich gültigen Charta der Grundrechte der Europäischen Union verweist ausdrücklich auf die Gewährleistung des Asylrechts gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention.

Wir fordern die österreichische Bundesregierung dazu auf, die Grundrechte und Grundwerte der Zweiten Demokratischen Republik Österreich und der Europäischen Union einzuhalten und ihr Vorhaben der Einführung eines „Richtwertes“ oder einer „Obergrenze“ für Asylsuchende zurückzunehmen. Wir fordern sie auf, die Anwendung des Asylrechts gemäß der österreichischen Verfassung und entsprechend der Charta der Grundrechte der EU zu garantieren.

Olga Flor, Gerhard Ruiss, Barbara Frischmuth, Doron Rabinovici, Sabine Gruber, Elfriede Jelinek, Renate Welsh, Alfred Komarek, Michael Köhlmeier, Monika Helfer, Robert Schindel, Vladimir Vertlib, Marlene Streeruwitz, Eva Rossmann, Stefan Slupetzky, Susanne Scholl, Martin Amanshauser, Karin Fleischanderl, Sabine Scholl, Michael Amon, Dimitré Dinev, Semier Insayi, Karl Markovics, Heinz R. Unger, Alois Hotschni, Ilija Trojano, Elfriede Hammerl, Lukas Resetarits, Barbara Hundegger, Anna Kim, Gabriele Kögl, Gerhild Steinbuc, Thomas Köc, Linda Stift, Kathrin Röggla, Julya Rabinowich, Birgit Pölzl, (25.1.2016)

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